Finden des Abgrunds und Entsteigen aus dessen Fängen – In den Malereien von Veronica Moroder

Yevgeniy Breyger



Ein möglicher Ansatz für künstlerische Arbeit ist das Entwickeln von Kunstwerken als erkenntnisgeleiteten Projekten. Dieser Ansatz erfordert wenig Risiko. Die Werke, die ihn zu Grunde haben, gelingen stets, sobald mit einer gewissenhaften Ausführung fundierte Recherche, Aufmerksamkeit und handwerkliche Fertigkeiten einhergehen. Die Ergebnisse tragen ein kleines Stückchen Wissen, ein kleines Stückchen Schönheit in den Diskurs, die Fallhöhen sind niedrig.

Die künstlerische Arbeit von Veronica Moroder steht derartigen Arbeitshypothesen diametral gegenüber, geht weit mehr ins Risiko. Ohne sich auf oberflächliche Diskurse zu verlassen, sucht sie nach Glücksmomenten, Glücksfällen. Was sie dabei verstanden hat, ist, dass einer der größten Glücksfälle, die einem Kunstwerk geschehen, das Zusammenfallen von inhaltlichem Fundament und dessen formellem Ausdruck darstellt. Da wo eines ins andere fällt oder gar organisch auseinander erwächst, zusammen an Größe gewinnt, um schlussendlich die Verschränktheit von Teilen und mit ihr die Banalität binären Denkens – Form & Inhalt – zu überwinden, entstehen andere Arten von Kunstwerken. Betrachter*innen befinden sich mit ihnen nicht mehr vor Kunstobjekten, aus denen sie im besten Fall Mehrwert ziehen, sie finden sich stattdessen in einem Dialograum wieder, beweglich und umgeben von organischen Wesen. Dort also, wo Schaffenskraft wirkt und Werk sich im Eingehen eines großen Risikos die Bezeichnung Werk verdient. Moroder weiß, wo die Balance misslingt, stürzen solche Gebilde augenblicklich in sich zusammen und werden erkennbar als Un-Werke, leblose Imitationen von Schaffensprozessen. 

Als würde dieses Risiko nicht ausreichen, geht Moroder ein weiteres ein – Sie changiert zwischen Konkretion und Abstraktion, tendiert dabei zur konkreten Form und bereitet ihren Gegenübern scheinbar sicheren Boden für Werturteile. Wird ein Körper erkennbar, sehen wir dessen Repräsentation in klaren, oft grellen, meist warmen Farben. Seine Konturen mögen stellenweise verwischen, bleiben aber zu jederzeit nachdrücklich, die Darstellungen begnügen sich mit Ein- und Zweideutigkeiten. Beim Betrachten der Bilder stellen sich unmittelbar Gefallen oder Widerstand ein, je nach gemachten Vorerfahrungen und entwickelten Geschmacksvorlieben. Auch die Geschichten, die die Bilder erzählen, lassen sich zwar nicht in klassischen Narrativen auflösen, erschließen sich aber dennoch mit ein wenig Imagination und surrealistischer Bereitschaft recht schnell. Die Zugänge, die Veronica Moroder offenkundig legt, die Einladungen an die Betrachter*innen, die sie auslegt sind dabei keineswegs zu verurteilen. Nur denjenigen ist es möglich, derartige Einfachheit auszustellen, die in ihrem Grunde Komplexität wissen. Die Zugänglichkeit ihrer Bilder ist der Künstlerin hoch anzurechnen, deren Qualität geht aber weit darüber hinaus.

Je länger die Auseinandersetzung mit diesen Bildern andauert, desto mehr stellt sich das Gefühl ein, eine Einladung an die Waghalsigen angenommen zu haben – Desto deutlicher wird, dass Farbe, Strichführung, Entscheidung zur Form und angedeutete Handlung im Bild nicht auseinander erwachsen, sondern unterschiedliche Ausdrucksformen des gleichen Kerns sind, der gleichen pulsierenden und mächtigen Substanz. Ließe man die Farbgebung weg, wäre Entscheidendes verloren? Würden die Motive wechseln, änderten sich die von ihnen vermittelten Empfindungen? Zuweilen stellt sich beim Betrachten das Gefühl ein, jedes einzelne Detail der Kunstwerke ließe sich austauschen, ohne Verluste an Wirkmacht, Einbußen an Strahlkraft. Als seien diese Bilder Phantombilder, denen wiederum andere Bilder zu Grunde liegen, Masken für etwas grundlegend Grundsätzliches, das in keiner Sekunde, in keinem Punkt austauschbar ist und das zu strahlen vermag über seine Maske hinaus. Die Farben erwachsen nicht aus den Formen, die Formen nicht aus den Motiven, Motive nicht aus ihrer Darstellungsweise. Das eine kommt nicht zum anderen, das Bild ist organisches Ergebnis eines organischen Schaffens, verletzlich, ätherisch, im wörtlichsten Sinn lebendig, lebend. Was Veronica Moroder hier gelungen ist, ist ebenjener Glücksfall, das Werk, das darum weiß, sich diese Bezeichnung verdienen zu müssen – Repräsentationen von Kunst als Schaffen und Erschaffen auf unsicherem Gelände.